Waldbaden

Waldbaden in Neckargemünd

Kann der Wald unsere Gesundheit verbessern? Erläuterungen zum „Waldbaden“.

Vermutlich gehen die meisten in den Wald, um sich zu entspannen, Sport zu machen oder einfach die Natur zu genießen. Wir wissen intuitiv: Wald tut uns gut.

Inzwischen gibt es dafür genügend wissenschaftliche Belege. Japan hat in den 80er Jahren als erstes Land begonnen, die Wirkung von Waldspaziergängen wissenschaftlich genauer unter die Lupe zu nehmen: das sogenannte Shinrin Yoku, bei uns auch Waldbaden genannt. In Japan können seit 2012 Studierende an japanischen Universitäten eine fachärztliche Spezialisierung in Waldmedizin belegen. Japan und Südkorea sehen auch volkswirtschaftlich einen großen Gewinn durch Gesundheitsprävention über Shinrin Yoku.

In mehr als 50 international veröffentlichten Studien wurde die stressreduzierende Wirkung von Naturaufenthalten nachgewiesen. Es gibt große Studien die zeigen, dass der Zugang zur Natur Gesundheit verbessert und die Sterblichkeit verringert.

Wissenschaftlich belegt ist ein therapeutischer Nutzen von Shinrin Yoku insbesondere bei der Erholung nach Operationen, bei der Behandlung psychischer Erkrankungen, zur Prävention von Herzkreislauferkrankungen, beim Diabetes mellitus Typ 2 sowie als Bestandteil der Nachsorge bei Krebserkrankungen. In Deutschland hat Waldtherapie Einzug in viele Rehakliniken gefunden.

An zwei Universitäten gibt es auch bei uns bereits Fortbildungen zum Thema Waldmedizin, in München und in Rostock („Projekt Waldtherapie“). An der Berliner Charite läuft gerade mit Prof. Michalsen eine Studie zur Wirksamkeit der Waldtherapie, Ergebnisse sollen 2023 veröffentlicht werden.

Worauf beruht die Heilwirkung des Waldes und des Waldbadens? Vereinfacht kann man sagen es gibt drei Säulen dieser positiven Wirkung:

1.) Bäume geben Duftstoffe ab, sogenannte Terpene. Terpene sind Duftstoffe, die Pflanzen zur Regulierung des Wachstums sowie zum Schutz gegen Feinde produzieren, zum Beispiel werden Insekten angelockt, die die Schädlinge fressen.

Unser Immunsystem reagiert darauf, indem es die Zahl der natürlichen Killerzellen messbar erhöht. Diese brauchen wir zur Bekämpfung von Viren und in der Bekämpfung von Krebszellen.

Hierfür muss man sich länger im Wald aufhalten, am besten mehrere Stunden. Wer einen Tag lang im Wald ist hat anschließend fast 40 Prozent mehr Killerzellen im Blut — und dieser Effekt hält etwa eine Woche an. Verbringt jemand zwei Tage im Wald, steigert sich die Zahl seiner Killerzellen sogar um 100 Prozent, und es dauert einen ganzen Monat, bis das Niveau wieder sinkt.

2.) Die 2. Säule ist unser Nervensystem, das auf visuelle Reize reagiert: Blutdruck und Puls sinken, Stresshormone sinken, unser Gehirn verändert seinen Blutstrom im sogenannten „Grübelzentrum“, wir werden ruhiger.

Dieser Effekt tritt sehr schnell (nach Minuten) ein. Ursache hierfür ist unser uraltes limbisches System, das sogenannte „Reptiliengehirn“.

Bei einem Spaziergang unter Bäumen schlägt also das Herz ruhiger, der Blutdruck sinkt und die Muskeln entspannen sich.

Beim Waldbaden wird dieser Effekt durch Achtsamkeitsübungen noch verstärkt. Achtsamkeit bezeichnet einen Zustand von Aufmerksamkeit, in dem der Mensch hellwach ganz im gegenwärtigen Augenblick seine Umgebung, seinen Körper oder seinen Seelenzustand wahrnimmt, ohne sich von Gedankenströmen oder starken Emotionen ablenken zu lassen. Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn hat sich bereits in den 70er Jahren intensiv mit Achtsamkeit (mindfulness) beschäftigt und ein eigenes Achtsamkeitstraining entwickelt, das inzwischen Einzug in viele Therapien gefunden hat.

Achtsamkeit hat ausgleichende Wirkung auf unser Immunsystem, reduziert Stresshormone und die damit verbundenen ungünstigen Immunreaktionen.

3.) Die 3. Säule betrifft unsere Psyche. Aus der Salutogenese, der Forschung über die Gesundheit wissen wir, dass es für Menschen wichtig ist, einen roten Faden im Leben zu erkennen, Kontrolle über das Leben zu haben sowie das Gefühl zu haben, das Leben hat einen Sinn. Der Wald bietet Beständigkeit. Die Jahreszeiten kommen und gehen, Bäume symbolisieren Kraft und Trost. Wir sind eins mit der Welt, verspüren möglicherweise Dankbarkeit, dies alles erleben zu dürfen. Wir sind im Hier- und Jetzt, raus aus unserer Tretmühle, entschleunigen.

All diese eher seelisch-spirituellen Aspekte haben gerade für Menschen in schwierigen Zeiten eine große Bedeutung. Diese Aspekte sind auch Teil der sogenannten Waldtherapie. Nachweislich sinkt das Angstniveau, Vitalität und Wohlbefinden steigen.

Es ähnelt auf gewisse Weise dem Pilgerpfad: Schon immer gab es Menschen, die die Sehnsucht auf eine innere Erlösung und spirituelle Weiterentwicklung auf einen Pilgerpfad brachte, viele Menschen träumen davon. Letztlich ist es genau das: zu sich selbst zu finden, sich als Teil eines großen Ganzen zu sehen.

Wie sieht Waldbaden praktisch aus?

Waldbaden - japanisch Shinrin Yoku - ist das achtsame, absichtslose Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes, bei dem wir alle Sinne weit öffnen. Eintauchen heißt, wir sind sehr langsam unterwegs (wir schlendern), wir bleiben stehen, wir setzen uns hin, wir fassen die Rinde der Bäume an, wir hören die Vögel, wir beobachten unsere Umgebung.

Ein Waldbad sollte 1- 2 Stunden dauern - dabei werden nicht mehr als 2 bis 3 Kilometer zurückgelegt.

Unterstützt wird das langsame Schlendern in einer Gruppe durch kleine angeleitete Achtsamkeits-, Wahrnehmungs- und Atemübungen, Meditationen und sanfte Bewegungen, wie z.B. Qigong oder Dehnungen. Zu Beginn und vor den Übungen gibt es Erläuterungen zum Hintergrund und nach manchen Übungen auch eine kleine Reflektion in der Gruppe.

Einige wichtige Aspekte dabei: die Ruhe zu genießen, zu entschleunigen, sich mit der Natur zu verbinden, seine Sinne zu öffnen, sich das Staunen zu bewahren, die Jahreszeiten bewusst zu erleben, tief zu atmen, den eigenen Körper zu spüren.

Was kann der Wald noch?

Wenn man den Einfluss des Waldes auf Gesundheit global betrachtet, ist man sofort im Thema „gesunder Wald“. Was ist das, ein gesunder Wald, was müssen wir dafür tun? Welche Rolle spielt ein gesunder Wald im Kampf gegen den Klimawandel? Nicht umsonst lautet das diesjährige Motto zum Tages des Waldes „gesunder Wald für gesunde Menschen“.

Wald ist mehr als die Summe seiner Teilchen. Er ist mehr als nur ein Holzvorrat für unsere Öfen und die Industrie. Er ist ein eigenes Ökosystem und trägt zur Artenvielfalt bei.

Er nimmt eine zentrale Rolle ein bei der Klimaentwicklung, Luftreinhaltung, bei der nachhaltigen Speicherung von Trinkwasser und bei vielem mehr.  Er ist ein wichtiger CO2- Speicher.

Er senkt im Sommer bei Hitze die Umgebungstemperatur. All das wiederum beeinflusst unsere Gesundheit.

Wir sollten alles dafür tun, unseren Wald zu stärken. Wir brauchen ihn - und er braucht unsere Unterstützung.

 

Diana Perry, 21.8.2023

 

Literatur:

Antonelli, Barbieri, Donelli (2019) Effects of forest bathing (shinrin-yoku) on levels of cortisol as a stress biomarker: a systematic review and meta-analysis.  Int J Biometeorol 63(8):1117-1134

Antonelli, Donelli, Barbieri, Valussi, Maggini, Firenzuoli (2020) Forest Volatile Organic Compounds and Their Effects on Human Health: A State-of-the-Art Review. Int J Environ Res Public Health. 17(18): 6506.

Bernjus, Cavelius (2018) Waldbaden: Mit der heilenden Kraft der Natur sich selbst neu entdecken mvg Verlag

Felber, Waldbaden (2018) Das kleine Übungshandbuch für den Wald. Schirner Verlag

Föhn (2022) Waldbaden und Waldtherapie als innovative Ansätze mit gesundheitsförderndem Potenzial. In: Schweiz Z Forstwes 173 1: 4–9

https://digitalcollection.zhaw.ch/bitstream/11475/23944/2/2022_Foehn_Waldbaden-Potential_SZF.pdf

Kotte, D., Li, Q, Shin, W.S. & Michalsen, A. (Hrsg.) (2019). International Handbook of Forest Therapy. Newcastle upon Tyne, UK; Cambridge Scholars Publishing.

Friedmann, Gaggermeier, Suda, Schreiber, Schuh Immich. (2018) Die Heilkraft des Waldes. Warum der Wald uns Menschen so gut tut. In: 4 LWF aktuell: 39-43

https://ihrs.ibe.med.uni-muenchen.de/team/wiss_mitarbeiter/immich/friedmann2018_heilwirkung_wald.pdf

Hansen, Jones, Tocchini (2017): Shinrin Yoku (Forest bathing) and Nature Therapy: a state-of-the-Art-Review. Int J Environ Res Public Health. 14(8): 851

Li (2022). Effects of forest environment (Shinrin-yoku/Forest bathing) on health promotion and disease prevention-the Establishment of „Forest Medicine“. In: Environ Health Prev Med., 27: 43.

Park, Ishii, Furuhashi, Lee, Tsunetsugu et al. (2006A) Physiological effects of Shinrin-yoku (taking in the atmosphere of the forest): (1) using HRV as indicator (in Japanese). Kanto J For Res, 57: 33–4.

Park, Tsunetsugu, Kasetani, Hirano, Kagawa.net al..AL (2007) Physiological effects of Shinrin-yoku (taking in the atmosphere of the forest): using salivary cortisol and cerebral activity as indicators. J Physiol Anthropol, 26 (2): 123–8

Schuh, Immich, Waldtherapie (2019)  Das Potential des Waldes für Ihre Gesundheit. Springer Verlag

Timko, Hansen, Vermeesch (2020) Mindfulness and Shinrin-Yoku: Potential for Physiological and Psychological Interventions during Uncertain Times. Int J Environ Res and Pub Health, 17 (24): 9340.

Wen, Yan, Pan, Gu, Liu (2019) Medical empirical research on forest bathing (Shinrin-yoku). A systematic review. Envir Health Prec Med., 24:70

White, Alcock, Grellier, Wheeler, Hartig, Warber, Bone, Depledge, Fleming (2029) Spending at least 120 minutes a week in nature is associated with good health and wellbeing. Scientific Reports volume 9, Article number: 7730

 

Interessante Links:

3Sat, Therapie unter Tannen (2019):

https://www.3sat.de/wissen/wissenschaftsdoku/therapie-unter-tannen-102.html

Projekt Waldtherapie, Uni Rostock:

https://www.uni-rostock.de/weiterbildung/weiterbildung/projekte/projekt-waldtherapie/

Kneippärztebund Gesundheitstrainer:

https://www.kneippaerztebund.de/fort-und-weiterbildung/wald-gesundheitstrainer/termine-und-anmeldung/?gclid=Cj0KCQjwib2mBhDWARIsAPZUn_mTZF0E5mDsaKjI04vxOkIhVwYG319wKvyWqdZAPTAVSmMDp6eZyxoaAugcEALw_wcB

Uni München, Waldtherapie:

https://ihrs.ibe.med.uni-muenchen.de/klimatologie/waldtherapie1.html

Deutsche Gesellschaft für Naturtherapie, Waldtherapie/Waldmedizin und Green Care – DGN e.V.:

https://www.eag-fpi.com/deutsche-gesellschaft-fuer-naturtherapie-waldtherapie-waldmedizin-und-green-care-dgn-e-v/

Max-Planck-Institut „Wer am Wald wohnt, hat eine gesündere Amygdala“:

https://www.mpg.de/11547867/waldrand-stressverarbeitung-grossstaedter

Zurück